Die Flasche Wein, die ich gerade gekauft habe, kostet laut Kassenzettel 525 Dollar. Ich bezahle jedoch nur sieben Dollar und fünfzig Cent. In bar …
Was erzählt das Zusammenspiel von Bauen und Geld über eine Gesellschaft? Wieviel staatliche Regulierung braucht eine Stadt? Wo verläuft die Grenze zwischen zu wenig und zu viel – auch mit Blick auf die Situation hierzulande, wo nicht nur wegen der Verwerfungen am Kapitalmarkt vielerorts das Bauen eingestellt wird?
Beirut, Hauptstadt des Libanon, liberales Zentrum im Nahen Osten mit glamouröser Vergangenheit, spannungsreicher Geschichte und extremen Ausschlägen. 18 Religionsgemeinschaften sind seit der Staatsgründung 1943 offiziell anerkannt und entsprechend an der Macht beteiligt. Kein Staat hat pro Kopf mehr Flüchtlinge aufgenommen, allein 1,5 Millionen Syrer seit dem Krieg im Nachbarland. Gleichzeitig leben etwa dreimal so viele Libanesen in der Diaspora wie im Land selbst. Innerlibanesische Machtkonflikte waren meist ein Spiegel der Weltpolitik, vom Kalten Krieg bis heute verbunden mit der (in)direkten Einmischung Frankreichs, der USA, Irans, Israels, Saudi-Arabiens, der Türkei, Syriens oder Russlands.
Nach Ende des 15-jährigen Bürgerkriegs 1990 setzte in Beirut ein Bauboom ein, befeuert durch viel Geld aus dem Ausland, ein ab 2015 zunehmend degeneriertes Bankensystem und geringer staatlicher Regulierung. Gebäude oft als gebaute Geldanlagen, entworfen von den internationalen Stars der Szene, Hochhäuser ohne Höhenbegrenzung, eine Stadt ohne Grenzen. Es war ein Schneeballsystem. Ab 2019 verschärfte sich die Wirtschaftskrise massiv. Die Landeswährung, seit den 1990er Jahren an den Dollar gekoppelt, geriet immer stärker unter Druck, verlor rasant an Wert. Während die Zentralbank den offiziellen Wechselkurs weiterhin künstlich stabil hielt bei 1.500 Lira pro Dollar, etablierte sich parallel ein in die Höhe schnellender Schwarzmarktkurs. Noch 2019 brach der Bankensektor zusammen. Seitdem sind für viele Libanesen ihre Ersparnisse nur noch eine Zahl auf dem Kontoauszug. Bezahlt wird heute wieder in bar und in US-Dollar. Im Februar 2023 hob die Zentralbank den offiziellen Wechselkurs auf 15.000 Lira für einen Dollar an, jedoch werden auf dem Schwarzmarkt derzeit etwa 100.000 Lira für einen Dollar gehandelt. Den genauen Kurs erfährt man über eine App. Wie rational ist Geld? Was bedeutet es für eine Stadt, wenn staatliche Institutionen als Kontrollinstanzen komplett ausfallen? Gibt es so etwas wie Moral in der Architektur? Wenn ja, wie verträgt sich das mit einem internationalen Architektursystem, mit dem Bedürfnis nach Aufmerksamkeit, nach Macht?
1. Französische Mandatsverwaltung
Nach dem Ende des Osmanischen Reiches stand der Libanon in seinen heutigen Grenzen von 1920 bis 1943 – offizieller Unabhängigkeitstag ist der 22. November 1943 – unter französischer Mandatsverwaltung. Das architektonische Erbe dieser Zeit ist noch immer im Stadtzentrum, in Vierteln wie in Zokak el-Blat, oder in Ashrafieh sichtbar. Westliche Architekturelemente vermischten sich etwa mit neo-osmanischen Stilen. Die Corniche, heute eine 4,8 Kilometer lange Strandpromenade, hat hier ebenso ihren Ursprung wie das Hotel Saint George, das der Pariser Architekt Auguste Perret zusammen mit dem Libanesen Antun Tabet entwarf. Mit der Entstehung eines urbanen Bürgertums entwickelte sich auch das traditionelle libanesische Wohnhaus – charakteristisch sind u. a. hohe Decken und ein großer zentraler Raum mit drei spitzbogigen Fenstern in der zur Straße weisenden Wand – zu einem städtischen Gebäude. Das Erdgeschoss wurde zunehmend gewerblich genutzt. Die wachsende Verwendung von Beton ermöglichte eine kostengünstige Verzierung der Fassaden – der Beginn des Eklektizismus – und den Bau großer Veranden, die häufig an bestehende Gebäude hinzugefügt wurden.
Das heutige Baugesetz hat ebenfalls seinen Ursprung in der französischen Mandatszeit. Die Anpassungen, die im Laufe der Jahre vorgenommen wurden, dienten jedoch weniger der Weiterentwicklung der Qualität städtischer Räume als vielmehr der maximalen Ausnutzung der bebauten Flächen. Die letzte umfassende Novellierung im Jahr 2004 ermöglichte u. a. eine höhere Bebauungsdichte, die Verkleidung von Balkonen mit Glasvorhangfassaden (bei viel Spielraum für Interpretationen) sowie noch höhere Hochhäuser. In den meisten Teilen Beiruts sehen die Bebauungspläne keine direkte Höhenbegrenzung vor. Sie ergibt sich vielmehr entsprechend der Größe der Gebäudehülle, die zur Straßenbreite, Abstandsflächen, Vor- und Rücksprüngen korreliert. Auch können Projektentwickler kleinere zu einem großen Grundstück zusammenzufassen und so Großprojekte realisieren. Anstelle der historischen Bausubstanz, die nur sehr eingeschränkt geschützt ist, entstanden in wohlhabenden Vierteln wie Ashrafieh immer neue luxuriöse Wohnhochhäuser.
2. Hippodrom
Zusammen mit dem angrenzenden Park des „Horsh Beirut“ ist das Hippodrom die letzte große freie Fläche mitten in der Stadt. Auf dem 20 Hektar großen Gelände befinden sich neben der Renn- und Trainingstrecke und der Tribüne auch Büros, Stallungen, ein Paddock – hier werden die Pferde vor den Rennen den Zuschauern vorgestellt – sowie die Wettstände. Der Boden gehört der Stadt, während die Rennen und die damit verbundenen Wetten von der gemeinnützigen Organisation Sparca durchgeführt werden. Der Libanon ist das einzige Land in der arabischen Welt, in dem Wetten gesetzlich erlaubt sind. Die Rennen finden je nach Verfügbarkeit der Pferde an etwa drei Sonntagen im Monat statt. Außer im Hochsommer.
3. Holiday Inn
Das Holiday Inn war das höchste und letzte Hotel, das noch im Herbst 1974, wenige Monate vor Ausbruch des Bürgerkriegs eröffnete. 26 Geschosse, gehobene Ausstattung mit Drehrestaurant im obersten Stock, einem Nachtclub in der 25. Etage und 400 Gästezimmern. Es war Teil des St. Charles City Center, einem Komplex mit Kino, Büros, Geschäften, Restaurants und Supermarkt in unmittelbarer Nähe von Phoenicia InterContinental, Saint George Hotel und Yachthafen. Entworfen wurde das Holiday Inn von den französischen Architekten André Wogenscky und Maurice Hindié im Auftrag des libanesischen Entwicklers Abdal Mohsin Kattan.
In den 1960er und frühen 1970er Jahren war Beirut ein Magnet für den internationalen Jetset und das Hotelviertel das Zentrum des Luxustourismus. Der reichste Teil einer der reichsten Städte des Nahen Ostens – Tummelplatz für Prominente, Politiker, Diplomaten, Spione. Begonnen hatte alles mit dem 1936 eröffneten Saint George Hotel, vier Jahrzehnte eines der renommiertesten Hotels im Mittelmeerraum. Zu den Gästen zählten Brigitte Bardot, Marlon Brando, Elizabeth Taylor, Richard Burton, König Hussein von Jordanien, der Schah von Persien mit seiner Frau Prinzessin Soraya. In der berühmten Bar trafen sich Spione beider Seiten des Kalten Krieges, wie der britische Doppelagent Kim Philby, der für die Sowjetunion spionierte. Weitere Luxushotels eröffneten, darunter 1961 das Phoenicia.
Mit Beginn des libanesischen Bürgerkrieges 1975 wurde die Innenstadt Beiruts zum Frontgebiet, die heftigen Kämpfe im Hotelviertel von Oktober 1975 bis April 1976 zum ersten großen Schauplatz dieses Krieges. Mehr als 25.000 Angehörige pro-palästinensischer und christlicher Milizen kämpften um die Kontrolle der strategisch wichtigen Luxushotels. Schwerer Raketen- und Artilleriebeschuss sowie die zahlreichen Scharfschützen, die die Hotels wegen ihrer Höhe als Stützpunkte nutzten, forderten mehr als 1.000 Todesopfer. Viele der Toten wurden, um den Feind abzuschrecken, vom Dach des Holiday Inn geworfen, was zum düsteren Ruf des Hotels beitrug. Als das Holiday Inn am 12. Dezember 1975 bereits zum fünften Mal in Brand geschossen wurde und schwarze Rauchwolken aufstiegen, wurde es zum Symbol dieses Krieges und der geteilten Stadt. Das Ende dieser Schlacht bedeutete zugleich die Vollendung der Teilung Beiruts in zwei Sektoren entlang der Grüne Linie, in den mehrheitlich von Christen bewohnten Ostteil sowie den von Muslimen bewohnten Westteil der Stadt. Diese Teilung blieb während des gesamten Krieges bestehen.
Nach Ende der Kämpfe 1990 wurden die Hotels entlang der Corniche, der Seepromenade, wieder aufgebaut. Das Holiday Inn blieb aufgrund verschiedener Anteilseigner davon ausgenommen. Heute kontrolliert die libanesische Armee die Hotelruine und ihre unmittelbare Umgebung wegen ihrer strategischen Lage im Zentrum Beiruts. Das Militärgelände kann nur mit Genehmigung der Armee betreten werden.
4. Souks von Rafael Moneo
Über 200 Geschäfte, 25 Restaurants und Cafés, ein Entertainment-Center, ein Kino mit 14 Sälen – die neuen Souks sind der größte Shoppingkomplex Beiruts. 2009 wurden sie eröffnet, aufgrund der instabilen politischen Lage einige Jahre später als geplant. Bereits vor dem libanesischen Bürgerkrieg war hier das geschäftliche Zentrum der Stadt. Libanesen wie Europäer besuchten den historischen Souk al-Tawileh und den Souk al-Jamil mit seinen Modeboutiquen und Filialen der Haute-Couture-Häuser. Der Souk al-Franj war der größte Markt für Obst, Gemüse und Blumen im Libanon. Zu Beginn des Bürgerkrieges im Oktober 1975 wurden diese Gebäude stark zerstört.
Der Wiederaufbau des Stadtzentrums von Beirut begann unmittelbar nach Ende des Bürgerkrieges 1990. Der von Dar Al-Handasah, einem international tätigen, privaten Beratungsunternehmen, entwickelte Masterplan sah zunächst den kompletten Abriss der noch bestehenden Gebäude vor. Nach hitzigen Debatten wurde der Masterplan überarbeitet und 1994 verabschiedet. Auftraggeber der neuen Souks war Solidère, ein libanesisches Bau- und Immobilienunternehmen in Form einer Aktiengesellschaft. Der Name steht für „Société libanaise pour le développement et la reconstruction de Beyrouth“, Gesellschaft für die Entwicklung und den Wiederaufbau von Beirut. Das Unternehmen wurde am 5. Mai 1994 von Rafiq al-Hariri, Hauptaktionär und zugleich Ministerpräsident des Libanon, gegründet. Solidère gilt als wichtigste Kraft des Wiederaufbaus, zuständig unter anderem für Finanzierung und Ausbau der Infrastruktur, Neubau und Sanierung kriegszerstörter Strukturen sowie das Management von Immobilien. Das Unternehmen kann in begrenztem Umfang auch als Aufsichtsbehörde agieren und Enteignungen durchführen – einer der Punkte, die immer wieder für Kritik sorgten.
Der Wiederaufbau der Souks war das wichtigste Projekt von Solidère. Reichtum anziehen, um neuen Wohlstand zu schaffen – das neue Zentrum von Beirut sollte ein Ort des Luxus werden, weniger für die Einwohner Beiruts als für reiche Araber aus den Golfstaaten (siehe Interview Patrick Mardini). Rafael Moneo gewann 1995 den internationalen Wettbewerb für die südlichen Souks, eine Fläche von 45.000 Quadratmetern. In Zusammenarbeit mit dem libanesischen Architekten Samir Khairallah orientierte er sich am historischen Straßenraster und entwarf ein modernes Shoppingcenter für die international bekannten (Luxus-)Marken. Spätestens seit der Wirtschaftskrise stehen die Geschäfte weitgehend leer.
5. Terraces von Herzog & de Meuron
Das Apartmenthochhaus liegt im Stadtzentrum, in unmittelbarer Nähe des Holiday Inn, des Phoenicia InterContinental sowie des neuen Yachthafens. Während sich die Geschosse der umgebenden Büro- und Wohnhochhäuser meist konventionell-gleichförmig übereinanderstapeln, springen hier die Wohnbereiche vor und zurück, werfen auskragende Terrassen und Vorsprünge Schatten oder lassen partiell das Licht durchscheinen.
Die Tragstruktur besteht aus dem Gebäudekern und einem Stützenraster, das bis zu 14,7 Meter überspannt. Dadurch können die nichttragenden Wände jederzeit verändert werden. Die Deckenplatten kragen mindestens 60 Zentimeter aus, sie wirken als thermische Speichermasse, gleichen die hohen Tagestemperaturen aus. Durch die großzügigen, begrünten Terrassen gehen Innen- und Außenräume ineinander über. Die Pflanzen spenden Schatten, schirmen allzu neugierige Blicke ab.
Die 130 Wohnungen erstrecken sich teilweise über zwei Etagen und sind bis zu 1.000 Quadratmeter groß. Jede Wohnung gliedert sich in drei Bereiche: einen öffentlichen Empfangsbereich mit Foyer und großzügigem Wohnzimmer, den privaten Wohnbereich mit Familienwohnzimmer, Schlafzimmer mit eigenem Bad und begehbarem Kleiderschrank sowie den Servicebereich mit Küche, Abstellraum und angeschlossener Waschküche. Alle Haupträume haben eine lichte Höhe von 3,31 Metern. Darüber hinaus verfügt 347 Terraces über ein großzügiges Spa mit Pool, Sauna, Dampf- und Massageräumen.
Die winzigen Zimmer für die Hausangestellten sind weniger als vier Quadratmeter groß, ohne Fenster. Die Architekten hatten „andere Konzepte projektiert und empfohlen. Was hier jedoch realisiert wurde, war der ausdrückliche Wunsch der Bauherrschaft, und wurde auf dessen Anordnung ausgeführt.“
6. Silo und Hafen
Vor mehr als zwei Monaten haben wir bei der libanesischen Armee die Genehmigung beantragt, das Silo zu besichtigen. Jetzt warten wir am Hafeneingang. Mehrere Soldaten kontrollieren alle, die passieren möchten. Offensichtlich reicht das Schreiben, das wir vor zwei Wochen von der Pressestelle der Armee erhalten haben, nicht aus. Sie schicken uns von einem Dienstgebäude zum nächsten. Wir benötigen noch eine „general security permission“, eine „allgemeine Sicherheitsfreigabe“. Schließlich fotografiert uns ein Soldat in einem der Container, stellt uns „Ausweise“ aus sowie zwei Aufpasser zur Seite. Einer von ihnen war auch am 4. August 2020 im Hafen. Nach der Explosion war er für mehrere Stunden bewusstlos – und arbeitete bereits wenige Tage später wieder. Wir fahren vorbei an zerbeulten Autos, zusammengedrückten Containern, Bergen von Schutt. Daneben parken nagelneue Rolls Royce.
Der Hafen von Beirut liegt am Golfe de Saint-Georges im Norden der Stadt, nahe des Zentrums. Er ist der größte Hafen des Landes, mehr als 60 Prozent aller libanesischen Importe wurden hier umgeschlagen.
Am Abend des 4. August 2020 explodierten in einer Lagerhalle 2.750 Tonnen Ammoniumnitrat – eine der größten nicht-nuklearen Katastrophen unserer Zeit. 200 Menschen starben, mehrere Tausend wurden verletzt, 300.000 wurden obdachlos. Die Druckwelle der Explosion war noch im 260 Kilometer entfernten Zypern zu hören und zu spüren. Sie zerstörte die Hafenregion, angrenzende Stadtteile, zahlreiche Wohnhäuser und Infrastruktur wie das Silo. Mit einer Lagerkapazität von über 100.000 Tonnen war es der größte Getreidespeicher von Beirut.
Das Ammoniumnitrat lagerte bereits seit 2013 im Hafen. Es stammte von der „Rhodus“, einem Frachter unter moldauischer Flagge, der dem amerikanisch-norwegischen Geophysikkonzern TGS gehörte. Eigentümer der Ladung war Savaro Limited, ein britisches Chemiehandelsunternehmen. Die Rhodus war auf dem Weg von Georgien nach Mosambik. Nach einer Inspektion während eines Zwischenstopps im Hafen von Beirut setzten die libanesischen Behörden das Frachtschiff wegen erheblicher technischer Mängel und unbezahlter Hafensteuer fest. 2014 wurde die Rhodus vom libanesischen Staat beschlagnahmt. Jahrelang verblieb sie im Hafen. Später lagerte die Fracht unter vollkommen unzureichenden Sicherheitsbedingungen im Lagerhaus Nummer 12. Am Unglückstag kam es bei Schweißarbeiten zu einem Brand in einer benachbarten Halle. Dort gelagerte Feuerwerkskörper explodierten und zündeten schließlich auch das Ammoniumnitrat.
Ursache und Hergang des Unglücks sind bis heute nicht vollständig geklärt. Zahlreiche Zollbeamte und Hafenarbeiter wurden verhaftet. Gegen hochrangige Politiker wurde kaum ermittelt, obwohl sie um die Gefahr wussten. Fadi Sawan, der erste Untersuchungsrichter, wurde 2021 abgesetzt, nachdem er den ehemaligen Ministerpräsidenten vorladen wollte. Fast genau zwei Jahre später, am 31. Juli 2022, stürzte ein Teil des schwer beschädigten Silos ein. Zuvor hatte zwei Wochen lang noch eingelagertes Getreide gebrannt. Heute stehen die 48 Meter hohen Überreste des Silos im Hafen als Mahnmal der Explosion – und des Staatsversagens.
7. Electricité du Liban
Die Zentrale der staatlichen libanesischen Elektrizitätsgesellschaft Electricité du Liban (ÉDL) liegt im Zentrum des Stadtviertels Mar Mikhaël. Direkt hinter dem Getreidesilo am Hafen, zwischen der Küstenautobahn und der höher gelegenen Armeniastraße, erstreckt sich das Hochhaus über 14 Etagen. Das Beiruter Architekturbüro Centre d’Etudes Techniques et Architecturales CETA gewann 1965 den von der ÉDL ausgeschriebenen Wettbewerb. Die Elektrizitätsgesellschaft wünschte sich ein Gebäude, das den städtischen Kontext aufnimmt, öffentliche Grünflächen und eine Verbindung zum Meer schafft – ein Symbol für die „Goldenen 60er“, für ein modernes, aufstrebendes Land mit boomender Wirtschaft. Beirut war einer der wichtigsten Bankenstandorte im Nahen Osten.
8. Sursock Museum & Sursock Palace
20 Brautpaare in drei Stunden. Ich sitze im Café des Sursock Museums. Seit der Wiedereröffnung im Mai 2023 ist der Eingangsbereich des Museums ein äußerst beliebtes Fotomotiv. Manchmal sind fünf Brautpaare gleichzeitig da, müssen sich absprechen, wer ganz oben auf der Treppe, wer am Treppenaufgang und wer vor dem Haupteingang posieren darf. Einige Bräute tragen Krönchen, andere Schleier oder Hijab. Alle glitzern. Am Tag zuvor wurde hier eine große Bühne aufgebaut. Das Museum braucht Geld. Um seine Aktivitäten zu finanzieren, erhält das Sursock Museum fünf Prozent der Einnahmen aus allen Baugenehmigungen in Beirut. Das war einmal eine große Summe. Jetzt ist die libanesische Lira fast nichts mehr wert. Wie die seit der Erweiterung 2015 mehr als fünf Mal so große Ausstellungsfläche bespielt werden sollen, ist unklar.
Am 26. Mai 2023 wurde es endlich wieder eröffnet. Das Sursock Museum, ein Museum für moderne und zeitgenössische Kunst, liegt nur 800 Meter vom Hafen entfernt. Die Explosion im August 2020 beschädigte das Gebäude schwer. So mussten unter anderem sämtliche Fenster, einschließlich dem traditionellen Buntglas an der Hauptfassade, ersetzt, die historische erste Etage mit dem Salon Arabe und seiner aus dem Jahr 1912 stammenden Holzvertäfelung sowie zahlreiche Kunstwerke restauriert werden. Die Sanierungsarbeiten dauerten knapp drei Jahre. Im April 2023 wurde schließlich eine Solaranlage auf dem Museumsdach installiert, um das Haus unabhängig von der stark schwankenden staatlichen Stromversorgung zu machen. Finanziert wurde der Wiederaufbau mit viel Geld aus dem Ausland: Die italienische Regierung beteiligte sich mit 1.000.000 Dollar, das französische Kulturministerium sowie die International Alliance for the Protection of Cultural Heritage in Conflict Areas (ALIPH) mit jeweils 500.000 Dollar.
1912 ließ der libanesische Kunstsammler Nicolas Sursock das Gebäude als private Villa an der an der Rue Sursock im wohlhabenden Stadtteil Achrafieh errichten. Libanesische Architektur mit italienischen und osmanischen Einflüssen. Als er 1952 starb, vermachte er das Gebäude der Stadt Beirut mit der Auflage, darin ein Museum einzurichten. Es eröffnete im Jahr 1961 mit dem „Salon d’Automne“, einer auf einem Open Call basierenden Ausstellung mit Werken zeitgenössischer libanesischer Künstler. Von 2008 bis 2015 erweiterte der französische Architekt Jean-Michel Wilmotte mit Unterstützung des libanesischen Architekten Jacques Abou Khaled, der auch die Sanierung nach der Explosion im Hafen beaufsichtigte, die Ausstellungsfläche durch einen unterirdischen Anbau. Aus 1.500 wurden 8.500 Quadratmeter. Hinzu kamen eine Bibliothek, ein Buchladen sowie ein Musiksaal. Kosten: 12 Millionen Dollar.
Die Familie Sursock lebte seit 1712 in Beirut und zählte zu den bedeutendsten Adelsfamilien der Stadt. Entlang der nach ihr benannten Rue Sursock stehen noch heute einige der schönsten historischen Herrenhäuser Beiruts aus dem 18. und 19. Jahrhundert. 1918 finanzierten sie auch den Bau des Hippodroms.
Wir sind durch einen Zufall hier, eigentlich wollten wir zum Sursock Museum, keine 20 Meter entfernt. Der Sursock Palast ist wunderschön. Roderick Cochrane führt uns herum. Er hat sein ganzes Leben in diesem Palast verbracht, mit all den Möbeln und Gemälden, den Teppichen und dem Geschirr, die seine Familie so lange begleiteten. Die Fotos von 2010, die das Gebäudes genau dokumentieren, erinnern an ein gelebtes Museum. Jetzt fügt er alles wieder zusammen, Stück für Stück.
Der Sursock Palast ist eine herrschaftliche Residenz mit prächtigem Garten in der Rue Sursock, keine fünf Minuten vom gleichnamigen Museum entfernt. 1860 von Moïse Sursock fertiggestellt, ist der Palast ein Symbol für die reiche Geschichte dieser Familie. Viele Jahre war er im Besitz der libanesischen Philanthropin Yvonne, Lady Cochrane, geborene Sursock und von 1960 bis 1966 die erste Generaldirektorin des Sursock-Museums. Nach dem libanesischen Bürgerkrieg ließ sie den Palast 20 Jahre lang sorgfältig restaurieren, bevor er 2010 wiedereröffnet wurde. Lady Cochrane starb am 31. August 2020 an den Verletzungen, die sie bei der Explosion im Hafen von Beirut erlitten hatte. Die Druckwelle traf das Gebäude mit voller Wucht. Einer ihrer drei Söhne, Roderick Cochrane, kümmert sich heute um den Wiederaufbau.
Text: Nadin Heinich
Fotos: Sergey Ponomarev
Beiträge aus der Bauwelt 05.2024: Über Exzesse in der Architektur, Kontrollverlust, Schönheit und Desaster findet ihr hier:
Beirut: 1 Stadt, 8 Orte
Beirut: Electricité du Liban
Beirut: Hippodrom
Interview mit Hala Younes
Interview mit Patrick Mardini
Interview mit Ulrich Höller